Immer wenn ich Fernweh habe, spiele ich mit fremder Leute Urlaubsbildern. Bei Tinder.
Ich selbst habe aus purer Unwissenheit den Fehler gemacht, im Vorfeld keinen Tauchkurs zu belegen oder das obligatorische Tandem zu bespringen. Nicht mal in den Urlaub bin ich geflogen, um mich lasziv am Strand zu selfen.
Der Durchschnitts Tinder Mann bereitet sich da wesentlich besser vor und postet für ferngewehte Mädchen seine Urlaubsschüsse. Also nicht direkt. Nur die Vorarbeit eben.
Manche kommen auch charismatisch daher mit einer Gitarre in der Hand, die schönen Lippen ans Micro und den Hintern gegen das Mischpult gelehnt. Schwarzweiß. Macht jeden schön.
Danke, schöne Männer, ich guck euch gerne an … and I like.
Doch was soll ich sagen, Tinder hat auch dunkle Seiten. Ja, wirklich. Und ich meine damit nicht die traurigen Angebote, die man als Frau so erhält, „Wir könnten uns in meinem Auto treffen“, „Meine Couch ist gemütlich“, „Ich hatte schon so lange keinen Sex“ … Nein! Jetzt, wo die Tage kurz und kürzer werden, so traurig, durchzieht diese Welt ein Schleichwandel.
Ich bin ja profiltechnisch schlicht ich, mit allem, was ich nicht habe (das Dekolletee liegt unterhalb des Bildrands) und bin jetzt schon mehrfach erschrocken, fühlte quasi, wie die Winterdepression gegen mein ohnehin gesprungenes Handydisplay sprang, weil da jemand auch nur mit sich selbst daher kam.
Armer Mann. Und dann füllt der auch noch sein Profil aus, so dass man des Lesens und Verstehens mächtig sein muss, um irgendwie herausfinden zu können, wie der so tickt und ob man den liken sollte oder besser doch ein glattes Nope vergeben.
Really heavy, besser schnell zurück zum Durchschnitt!
Und *hach, ist das schön … mit Fernweh durch Tinder zu zappen, wenn man auf den Bus wartet und das Buch vergessen hat, oder wenn man vor dem Einschlafen von fremden Ländern träumen will. Ehrlich. Nicht. Aber ich tu es trotzdem. Irgendwoher müssen doch doch Begegnungen und Geschichten kommen, wenn der Weg zur Lieblingskneipe zu kalt ist.
Und manchmal sind das wirklich schöne Begegnungen, so wie neulich, als ich völlig spontan sieben Stunden durch Berlin spazierte, besser gesagt rannte, mit einem „Guide“, der aus Indonesien stammte, seit über zehn Jahren in dieser Stadt lebt und einen Orientierungssinn besitzt, der mich erblassen ließ und ganz nebenbei auch noch die gleiche Tiefenschärfetendenz zeigte, mit der für mich Gespräche gut sind … Danke, Tinder.