Wie ein unsichtbarer dritter Arm, ist sie immer da, hebt die dazugehörige Hand, kann mir damit auf den Hintern schlagen, damit ich in die Gänge komme, kann mir die Sicht versperren, mich verunsichern, ist immer da, auch wenn sie Geschichte ist, als drängte sie danach, immer Geschichte zu sein, treibt mich, beschenkt mich, lässt mich nicht still stehen.
Das Risiko, zehn bis fünfzehn Jahre nach ihr an einer Leukämie zu erkranken, ist erhöht. Ich weiß den Prozentsatz nicht, mit dem ich die Begleiterscheinungen der Therapie damals zur Kenntnis nahm. Weiß auch gar nicht, ob nur Strahlentherapie den Folgekrebs nach sich zieht. Die blieb mir erspart. Es war nur eine aggressive Chemo gegen hochmalignes NHL – mein unsichtbarer Dritter.
Plötzlich packt mich Schüttelfrost. Am Morgen des Tages, dem ich entgegenfieberte, weil ich eine neue Laufstrecke ausprobieren wollte, die Sonne lockte und überhaupt lockten die Bücher und meine Reise in die Staaten. Aber nix ging. Es zog mich in die Horizontale, die Augen fielen zu, zwei Decken zog ich über mich, geliebte Wollsocken an die Füße, den Schal bis unter die Augen. Kurz nach Mittag lag meine Körpertemperatur bei 39 Grad und das Zittern hörte nicht auf. Ursache war mir unklar, nur die Lymphdrüsen am Hals waren geschwollen und taten weh. Schlafen, nichts als Schlafen. Dabei wollte alles in mir wach sein.
Masernwelle in Berlin … aber du bist ja geimpft, schreibt Mama am nächsten Tag.
Fieber ist zuerst noch da, dann geht es zurück, ich schlafe weniger, am übernächsten Tag bin ich bei Normaltemperatur, Blässe, Augenringen, keiner Kraft. Alles normal nach zwei Betttagen, denke ich mir, aber da schnellt der unsichtbare Arm, als ich mich so blass sehe, schnippt er mit den Fingern. Auch das Kind beginnt sich Sorgen zu machen. Ich verspreche, zum Arzt zu gehen.
Er kreuzt eine Menge an auf dem Laborblatt.
Darf ich Sie was fragen, Doktor, ohne dass Sie mich für paranoid halten?
Ich saß im letzten Jahr mindestens zweimal bei ihm mit geschwollenen Knoten, typischen NHL Symptomen und der Angst einer Neuerkrankung, die sich in Wohlgefallen auflöste.
Ja, fragen Sie, sagt er.
Woran erkennt man Leukämie?
Es kann sich wie Grippe äußern.
Weil, nämlich, ich erinnere mich, dass das Risiko steigt, an einer Leukämie als Folgekrebs zu erkranken …
Das ist gar nicht paranoid. Denselben Gedanken hatte ich auch. Darum lasse ich auch alles überprüfen. Rufen Sie mich heute kurz vor Schluss an, wenn es etwas Schlimmes ist, schicken die aus dem Labor ein Fax …
Kein Fax ist also eine gute Nachricht, schlussfolgere ich am Abend. Der Ultraschall ergab außerdem, dass ich eine jungfräuliche Leber hätte – und auch die Hauptschlagader sähe jungfräulich aus.
Netter Begriff, wie ich finde, klopft der unsichtbare Arm mir versöhnlich auf die Schulter und bleibt noch eine Weile liegen, vielleicht bis Donnerstag, da kommt der endgültige Befund.