Die Erinnerungen rauschen mit dem Wasserdampf vor sich hin. Der Alu-Wasserkessel wird seinem Platz auf der hundert Jahre alten Kochmaschine wie selbstverständlich gerecht. Brodelte es mit dem Anfeuern vorhin noch pfeifend aus ihm, das Teewasser ist fertig, gewährt er nun den Resten der Glut Durchlass, mit einem immer leiser werdenden Zischen.
So zischen auch die Bilder in meinem Kopf. Flackern auf. Treiben es bunt. Malen düster. Verblassen. Abschiednehmen ist wie ein Spektakel aus Aufkochen und Verdunsten lassen.
Die Küchenuhr tickt. Im Heizungsraum springt der Brenner an. Die Hunde schnarchen. Manchmal jagen sie im Traum Kaninchen. Oder nur sich selbst. Wer weiß das schon. Ich habe sie nie Kaninchen jagen sehen. Sich gegenseitig dagegen oft. Sie bissen sich herausfordernd in ihre Ohren. Drückten den Oberkörper an den Boden, begleitet von Gebell. Los, jagen wir uns. Spielen wir, bis uns die Sonne aus dem Arsch scheint. Jeder konnte das sehen. Das mit der Sonne. Auf der Weite von Feldern, Wiesen und Wald.
Ich sitze hier und warte auf ein Wunder. Schon wieder. Noch eins. Sind mir nicht genug wiederfahren? Sind wir nicht alle ohnehin Wunder? Und warte ich wirklich auf eins oder nur darauf, dass mir jemand die Entscheidungen abnimmt inmitten meiner eigenen Kreation? Ginge ich allein mit dem Verstand an die Sache heran, wäre es leicht. Doch der viel stärkere Rest brodelt und zischt, es fühlt sich verkehrt an! Mein Problem dabei ist, wenn ich allen Dingen Seele gebe, dass ich am Ende mit der Kommunikation zwischen meiner Seele und denen, die ich Gegenständen und Tieren zuvor eingehaucht habe, klar kommen muss. Das ist solange gut, wie nichts als Liebe wabert und keimt. Und Dankbarkeit. Oder ein Gefühl von Gerettetwerden. Aber was, wenn die einstigen Lebensretter nicht mehr ins Lebensmodell passen? Wenn in der notwendig gewordenen neuen Wohnung Tiere nicht erlaubt sind. Auch am Arbeitsplatz nicht. Und wenn einer, der erst wollte, und dann doch wenn überhaupt nur – aber eigentlich kann er sie nicht länger … Waber. Waber. Nak-nak.
Sie liegen da. Und ahnen nichts. Jeder in seinem Korb. Manchmal zwischen uns. Auf dem Menschenplatz, einer Matratze am Boden der leergeräumten Küche mit Kochmaschine und wundervoller Sandsteinwand, in deren Fugen zweihundertjähriger Frasen hängt und Ruß. Der Liebste liest sein Buch. Ich schreibe mir den Kummer ins Gesicht. Hole ihn aus dem Kopf. Aus dem Herzen. Tanze ihn auf der Tastatur in Extase. Sehe ihn auf dem Bildschirm des Laptops an. Besser so. Gibt sonst hässliche Musaugen. Hatte ich gestern schon. Alles nur in meinem Kopf. Nicht so bei den Hunden. Sie schlafen. Oder lassen die Sonne scheinen. Es wird kein Wunder geben. Nicht mehr in diesem Jahr. Ich bin reich beschenkt worden. Überreich. Von vielen Seiten. An verschiedenen Orten. Das schönste Wunder sitzt neben mir und liest.
Der flauschige Kopf des Tibet-Terriers hängt über dem Rand der weichen Hundeschale. Kühlt ihn vor dem antiken Herd auf dem Terazzoboden, der vor langer Zeit von fahrenden Händlern in die Küche gegossen wurde. Ein langer Riss zieht sich quer hindurch, was dem Charme des Belags keinen Abbruch tut. Ich bin ein schlechter Rudelführer. Damit muss ich leben lernen. Wie eine unbekannte Kraft den Riss am Grund der Küche, wird die Entscheidung in Sachen Hunden einen Riss in mir hinterlassen. Einen Riss im Karma? Damals hat sein Frauchen ihn verlassen müssen, weil sie sterbenskrank war. Zuvor hatten ihn Tierschützer als Welpen aus Spanien vor dem sicheren Tod bewahrt und ihn an die Dame vermittelt. Ich fand ihn dann bei selbiger Tiervermittlungsstelle, und weil mich seine Geschichte so anrührte und er so wundervoll knuffig und anhänglich war, kam er als Lebensrettungshund in unser Rudel. Denn wir bedurften eines Wesens, das uns bedingunglos Zuwendung gab und Wärme. Vielleicht bedurfte ich seiner Zuwendung am allermeisten. Und der Wärme. Körperlich und seelisch. Heute wird diese Anhänglichkeit ihm und mir zum Verhängnis, weil er so gar nicht alleine bleiben kann und überall dabei sein will. Das ließ sich lange händeln. Jetzt gerade nicht, und alle Versuche, einen Pflegeplatz zu finden, schlugen fehl. Einen Pflegeplatz darum, weil es doch sein könnte, dass in ein paar Wochen oder Monaten mein Leben eine Wendung nimmt, die das Zusammenleben wieder ermöglichen würde.
Der Westimix buddelt eine Bananenschale mit seiner Decke ein. Der Tibet-Terrier hat sich seinen Stammplatz in meinen Kniekehlen gesucht. Die Hundeköpfe sind frei von Argwohn und Zweifel. Die SMS, die gerade eintrudelt will Vor- und Nachteile des Hundes wissen, will Bilder haben. Ihn wieder vermitteln. Nach sechs Jahren. Klar, bring ihn vorbei! Ganz ohne Riss im Karma. Der Brenner springt erneut an. Der Tibet-Terrier stinkt. Meine Nase ist wenig empfindlich. Auch darum passen wir wohl gut zusammen. Irgendwann wird das Erinnerung sein. Aufbrodeln und verdampfen.