Es kommt endlich wieder Leben in die Lenden, äh in die Pedalen, der Frühling ist da. Ich also heute Morgen: nachdem mich gestern höhere Gewalt (nicht vorhandener Schlüssel) von dem Vorhaben abhielt, meine acht Kilometer Arbeitsweg auf dem Rad zu bewerkstelligen, hat heute alles gepasst. Zwar fand ich die Handschuhe nicht, aber bei Plusgraden geht das ja auch ohne. Die Schmierschicht an den Händen (Haargel plus Regenwasser) eins zwei fix an der noch trockenen Jacke abgewischt, stand dem work in nichts mehr im Wege.
Nach ein paar hundert Metern ziepten meine Knie bzw. die nicht vorhanden Muskulatur und ich dachte mir, gemach, hast ja genug Zeit, und ins Fitnessstudio willste ja auch noch, also ruinier dir nicht wegen eines Morgens die janze Woche, nich!? Ich genoss die Tour durch Kreuzberg und dachte, was für eine tolle Tageszeit, da ist ja noch niemand auf der Straße, ist das gemütlich … dann fiel mir ein, dass das Blödsinn ist, denn zwischen sieben und acht werden natürlich viele, viele Berliner auf den Straßen sein … wenn erst die Ferien zu Ende sind.
Da ich mein iPhone nicht mehr habe, und auf dem alten Blackberry meine Lieblings-App „komoot“ nicht läuft, musste ich mich also aus der Erinnerung in die richtige Richtung bringen. Das klappte bis zu einem Punkt ganz gut – der Schleichweg in Richtung „Jüdisches Museum“ von der „Friedrichstraße“ aus, war allerdings wegen Bauarbeiten dicht, und so musste ich mich pauschal am Fernsehturm orientieren. Bis dato war mir noch nicht mal bewusst gewesen, dass ich zu meiner alten Arbeitsstelle auch jeweils ca. fünf Meter auf der Friedrichstraße unterwegs gewesen war, da es ja mehr ein schräg über die Straße Fahren war. Nun denn, ich fuhr also mehr als fünf Meter auf ihr, notgedrungen, und fand das gar nicht mal so übel. Dann las ich irgendwann „Leipziger Straße“ und dachte, das muss mich auch irgendwie zum Prenzlauer Berg bringen … und richtig, mit rutschigen Händen, denn unterwegs hatte der Regen eingesetzt, kam ich viel zu früh durchnässt bei den Zwillingen an. Doch glücklich, ob der Bewegung.
Auf dem Rückweg nahm ich mir vor, entspannt bei Anstiegen ladylike einen Gang runterzuschalten … sollen doch die anderen – und einfach und endlich wieder das Unterwegssein zu genießen. Ich fuhr so langsam, dass ich sogar für Konversation Zeit fand. Einer Dame sagte ich beim Überholen, „Ihre Tasche rutscht da gleich …“, und nachdem ihre Antwort erst so klang wie, „das macht die immer so, das soll so, scher dich um deinen eigenen …“, rief sie dann doch nach einem Seitenblick „Danke!“
Meine nächster Satz war weniger subtil und lautete – pädagogisch wertvoll, doch lautstärker – „Ooooh-oh-oh!“, und galt einem Auto, das aus der Parklücke fahren wollte, ohne mich gesehen zu haben. Noch während ich mit Schreck in den Sohlen weiter trat, dachte ich mir, ‚wie blöd bist du eigentlich? Hasse keine Klingel? Ooooh-oh-oh?‘, aber gut, vielleicht war der Fahrer ja Musterschüler, jedenfalls hatte er gebremst und mich unbehelligt davonfahren lassen.
Die nächste Situation hingegen hatte es in sich und forderte meine sämtlichen Reserven. Überholt mich doch am Berg ein Mädel auf einem ähnlich klapprigen Rad, wie dem meinigen, wobei, vielleicht war ihres nur auf Retro gemacht, egal. Stört mich ja nicht. Wennse schneller is, sollse fahren, vor allem an meinem ersten Tag in diesem Jahr, und wo doch die Knie eh … aber dann, das is doch der Hammer, immer noch am Berg, fährt die ja nu direkt vor mir und … wird immer langsamer. Oh, nee, denke ich, kann doch nicht, ich hab hier unter Aufbringung sämtlicher Reserven meine Geschwindigkeit so, dass ich es hoch schaffe, ohne abzusteigen, und jetzt muss ich aufhören zu treten, damit ich der nicht ins Hinterrad fahre. Ich also wieder die Pädagogikschiene, „Aber nicht erst überholen und dann langsamer werden, nich?!“ Keine Reaktion. Ampel. Rechtsabbiegen. Der nächste Berg. Die immer noch vor mir. Pffff, okay, ich hab’s nicht gewollt, aber jetzt muss ich, sonst fang ich an zu frieren … muss ich zurück überholen … immer noch am Berg. Ja, sauber, jetzt kannste das ja nicht genauso … musste jetzt also deutlich schneller sein. Also den letzten der drei Gänge, den ich trainiert ja sowieso nur nutze, rinjekloppt und Jas jejeben. So sehr, dass ich dann noch einen überholen musste, den ich gar nicht wollte, nur damit die mir nich den selben doofen Spruch bringt. Berg. Berg. Berg. (okay, Anhöhe, Anhöhe, Anhöhe – habe schließlich in Bayern gelebt, und weiß, wat Berge sind) Ich kurz vorm Kollaps. Aber stolz. Und vermute freudig, dass Muskeln ein Erinnerungsvermögen haben, welches meine in den Oberschenkeln gerade aktivieren. Endlich geschafft, weg von der Hauptstraße. Fast zu Hause. Steht da der Chef vom Fahrradladen an der Ampel, bei dem wir unsere Esel immer reparieren lassen, wir winken uns zu, ich rufe noch so, „Mensch, mein erster Tag mal wieder auf dem Fahrrad zur Arbeit“, will anhalten, ein Bein aufm Boden, und … knick … vergessen die Muskeln im Oberschenkel glatt, wat ihr Job is, und ick knicke ein, sage „Huch!“ – er sagt „Huch!, biste wohl nichts mehr gewohnt, wat?!“
Daruff ick, „Ja, so isset.“
Aber egal, es war schön, sogar so schön, dass mich eine Freundin am Abend noch aufs Tempelhofer Feld locken konnte, auch mit dem Fahrrad, wo wir uns im Skateboardfahren geübt und ein Fläschchen Wein in der untergehenden Sonne genehmigt haben, plus Mädchengesprächen, muss ja auch mal sein … und morgen geht’s wieder auf den Esel und irgendwann werde ich dann hoffentlich wieder ganz souverän am Berg, in den mir liebsten Überholmanövern, an den Hightech-Rädern vorbei ziehen, die sich, mich und meinen Esel unterschätzend, an der Ampel davor vorgedrängelt haben, damit ich ihnen nicht im Weg bin … wenn sich denn nur meine Muskeln daran erinnern.