Heut klappt das auf die entspannte Tour mit dem Weggehen, sage ich mir morgens und lasse den Rechner aus. Stattdessen steht auf dem Programm: Stundenlanges Duschen. Einklopfen cremiger Helferlein in bildschirmverstrahlte Haut, gefolgt vom Finale mit Spachtelmasse, Pinsel und Farben. Nun noch alten Lack von den Fingernägeln pulen. Feddisch.
Danach folgt Mentalkosmetik: Mülltrennung in der Schreibstube. Zusammen- und Abtragung von Wäschebergen. Löcherstopfen im Kühlschrank. Gassigehen. Mittagessen mit meinem Mann. Und das überhaupt Entscheidende: Siegessicher wissen, was ich anziehen werde. Meiner Zusage, am frühen Abend auf der Matte zu stehen, steht also überhaupt nichts im Wege. Dachte ich.
17:30 Uhr – da liegt nun alles Glück für heute Abend vor mir auf dem Stuhl. Das gebatikte Minikleid hatte ich im Anflug von – ich werd auch wieder schlanker sein – vor 2 Jahren in Urlaubslaune erstanden. Dank Miederunterkleid werden die Ravioli vom Mittag und das kleine süße Panna cotta kaum zu sehen sehn.
Der Anblick im Spiegel ist für ungefähr 5 Minuten erträglich. Mein Gatte meint: »sehr sexy«, doch das so offensichtliche Hervorblitzen der Spitze meiner halterlosen Strümpfe ist mir eine Nummer zu draufgehauen. Da ich ohne Mann losziehen werde, wirkt es auf mich wie: Eine Portion MILF im Sonderangebot sucht dringend Abnehmer, da Verfallsdatum bald erreicht. Und dit will ick nu wirklich nich.
18:00 Uhr – in zwei Stunden wollte ich in der Stadt sein. Ich konzentriere mich. Das schwarze Strickkleid ist zu chic und ich hatte es Silvester schon an. Das neue Schwarze? Für die Oper okay. Ich werde aber underground on tour sein. Ich ziehe es trotzdem mal an. Nee, geht gar nicht. Oder vielleicht in Kombination mit einer Biker-Lederjacke? Yes! Das wäre cool. Leider besitze ich keine. Kleid wieder aus. Ich renne ins obere Stockwerk und durchwühle die Sommerklamotten-Kommode. Kurze Jeans. Warum nicht? Das ist auf keinen Fall zu schnieke.
19:00 Uhr – die Spitzenränder blitzen natürlich auch unter der Jeans hervor. Davon lenken die 3 Gürtel, die ich nacheinander hinein und wieder hinaus fädle, auch nicht ab. Langsam werde ich panisch. Ich wühle und ziehe an. Tausche aus. Kombiniere. Mein Zimmer sieht aus wie zu Teenyzeiten.
19:30 Uhr – meine Entspannung ist dahin. Die Nägel sind unlackiert. Plötzlich ein rettender Gedanke: Mein Lieblings-Sommerkleid. Schmale Träger, flattrig, schwarz gemustert, passt zu fast jedem Anlass und endet nicht kurz unterm Bauchnabel. Ich finde es auch relativ rasch in besagter Kommode und werfe es über. Kontrollblick in den Spiegel – OMG! – An den Stellen, wo BH und Miederkleid Halt suchen, leuchtet meine Haut gnadenlos rot. Das viele An- und Ausziehen hat Spuren hineingebrannt. »So kann ich doch nicht rumlaufen«, japse ich hysterisch und atme tief durch. Ich lausche nach grauen Zellen. »Lasst euch was einfallen!«, stampfe ich mit meinem Absatz in die 200jährigen Eichenholzdielen. Meine grauen Zellen geben schmollend nach und mit kurzer Überlegung nehmen ein hauchdünnes Bolero-Jäckchen Sichtschutz und zwei Aspirin die Schmerzen.
20:00 Uhr – die roten Striemen sind versteckt, die Spitzenränder der Strümpfe blitzen nur, wenn ich mich weit nach vorn bücke. Und wer will das schon? Meine Fingernägel?! Na gut, dann eben nur eine Schicht.
20:20 Uhr – ich sitze im Auto. Nur 2 Nägel sind verschmiert. Meine Ankunft avisiere ich zu 22:30 Uhr. Ich will meine Freundin abholen. Sie bedient in einer Bar. Dort wollen wir noch eine Kleinigkeit essen und dann gemeinsam starten.
22:30 Uhr – ich komme pünktlich mit 3 h Verspätung auf ihrer Arbeitsstelle an. Die Blase drückt. Auf dem Klo treffe ich meine Freundin, die gerade das Abend-Make-up vollendet. Sie steht mir in Schlabberjeans, Tanktop und Turnschuhen gegenüber. An ihr sieht das heiß aus. »Oh nein«, entfährt es mir, »ich bin ja tooootal overdressed. Ich wusste es!«
Sie beruhigt mich lächelnd, «Alles gut, ich zieh mich auch noch um«
Ich setz mich zum Warten an die Bar. »Hey, du hast ein tolles Kleid an«, sagt ein charmanter junger Mann, der neben mir lässig auf seinem Strohhalm rumkaut. »Danke« entgegne ich überrascht und denke, dass sich mein Aufwand wohl gelohnt hat. »Ja,« fährt er fort, »es erinnert mich an den Film ›Les Miserables‹. Die tragen da auch alle solche Kleider«. Irritiert überlege ich eine Weile, ob das nun immer noch ein Kompliment ist, komme aber zu keinem Ergebnis.
23:30 Uhr. Wir wollen los. Plötzlich füllt sich die Bar. Unerwartet stürmt eine feuchtfröhliche Touristengruppe durch die Eingangstür. Meine Freundin erhält von ihrem Chef ein Zeichen, dass sie vorerst weiter arbeiten soll. Die Gesichtszüge entgleisen uns kurz. Lagebesprechung. Fazit: Ihr Chef sackt eine kleine Lounge-Runde ein, die zur selben Veranstaltung will, wie meine Freundin und ich. Meinen Wagen stelle ich als Taxi zur Verfügung und mich als Fahrerin. Wir düsen mit zwei Autos einmal quer durch die Stadt.
0:30 Uhr – Ankunft an der Tanzfläche. Noch nicht viel los. Ich trinke ’ne Cola. Anschließend gehen wir in die »privat area« und begrüßen die Veranstalter, die uns auf ihre Gästeliste gesetzt hatten. Ich drängle, weil ich meine Freundin abholen will. Als wir gehen, füllt sich gerade die Tanzfläche. Wird ja doch noch n toller Abend, denke ich und habe es supereilig. Die Tanzfläche ruft: »Komm und hüpf auf mir rum!«
1:45 Uhr – meine Freundin putzt das Klo. Einer der Touris von vorhin war schon gut bedient, als er ankam und konnte das Ergebnis nicht für sich behalten. Ich find’s eklig. Meine Freundin meistert den Clean-Act souverän, während es weiteren Gäste-Ansturm durch die Eingangstür drückt. Also warten wir noch ne Weile. Ihr Chef will das so und meine Freundin ist ja immer noch irgendwie im Dienst.
2:30 Uhr – meine Freundin putzt die 3 Stufen zur Chillout Lounge. Besagter Gast hatte wohl doch noch nicht alles von sich gegeben. Die Zeit vergeht weiter mit Nachrichtenschreiben, Colatrinken, Putzen, Telefonieren … Taxiruf.
3:30 Uhr – eeendlich Ankunft auf der Tanzfläche. Blöd, dass alle anderen schon wieder weg sind. »Ja, es war super voll vorhin, mega Stimmung«, schreien die Veranstalter heiser und glücklich, als ich danach frage. Der Bass dröhnt und breitet sich in meinem leeren Magen aus. Grmpf – und das Essen haben wir auch ganz vergessen, fällt mir dabei ein. Was soll’s, chillen und quatschen wir also weiter in der »privat area«. Ich lehne gefühlte zwanzig Mal angebotene Zigaretten ab und fange an, Siegmund Freud zu lesen. Jemand der Anwesenden hat das Buch auf dem Tisch liegen lassen.
4:30 Uhr – heißt es Ende. Die Veranstalter sind geschafft. Viele Tage Vorbereitung stehen ihnen ins Gesicht geschrieben. Das Licht geht an. Ich hole zum 2. mal meine Jacke von der Garderobe und gestehe meinen Hunger. Meine Freundin verspürt ihren auch deutlich. Ihr fällt ein, dass ihr Chef Canapés vorbereitet hatte. »Die hat doch bestimmt keiner angerührt, so voll wie die alle waren« Wir suchen also ein Taxi. Um diese Zeit nicht so easy going, weil alle gerade heim wollen.
Wie’s weiterging? Als wir super hungrig in der Bar ankommen, sind gerade alle fertig mit dem Essen und es war wohl lecker. Schön. Ja. Die Spitze guckt nicht unterm Kleid vor. Das Bolero sitzt. Die Füße tun auch ohne Tanzen weh. Mein Hunger wird immer größer und draußen wird es hell. Nach und nach kommt auch die Underground-Crew in der Bar an. Ich verteidige meinen Sitzplatz an der Theke mit einem Schild auf der Stirn: »Heul dich bitte bei mir aus« so habe ich immer einen Sitznachbarn, der mir offen alles anvertraut, Cola spendiert und mich von meinem Hunger ablenkt. Beim Zuhören überlege ich, ob wohl heute die Sonne scheinen wird.
8:30 Uhr – das Klo blieb ansonsten sauber. Ich verabschiede mich. Das Aspirin wirkt nicht mehr. Auf der Autobahn blendet mich die aufgehende Sonne. »I need sunglasses« simse ich meiner Freundin, die mich mit Energy-Drinks für den 200 km Heimweg ausgestattet hat. Ich fahre das Fenster runter, gegen trotzdem aufkommende Müdigkeit und brülle mit den Helden »Bitte darf ich das behalten«. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass ich letzte Nacht immer zur falschen Zeit am falschen Ort war. Aber schön wart trotzdem und meine Freundin simst, dass sie hofft, wir würden recht bald wieder zusammen ausgehen. »Aber gerne doch! Wie wär’s denn mit Ü40, wenn du mal frei hast?«
… das Lesen macht solchen Spaß meine Süße!!!! 😉 … weiter so!!!! :-*
… Das Schreiben auch :-*