Ich will nur wissen

Ich will nur wissen,
auf welcher Seite du erwachst,
ob dich dein Wecker weckt oder
deine Gedanken dir Schlaf rauben.

Ich will nur wissen,
worüber du als erstes lächelst,
ob du Kaffee oder Tee trinkst,
du Frühstück magst oder nicht.

Ich will nur wissen,
ob du kalt oder warm duschst,
ob du singst dabei oder denkst
und wonach du danach duftest.

Ich will nur wissen,
welchen Schuh du zuerst anziehst,
ob du fast den Schlüssel vergisst,
wen du als erstes am Tag siehst.

Ich will nur wissen,
welche Farbe dein Notizbuch hat
wie viele Seiten noch leer sind, und
wie oft am Tag es in der Tasche bleibt.

Ich will nur wissen,
nach wem du dich umdrehst und
ob du bei rot stehen bleibst, auch
wenn die Straße frei ist.

Ich will nur wissen,
welches Obst du magst, ob
du Äpfel am Ärmel putzt oder
ob du sie mit Wasser wäschst.

Ich will nur wissen,
mit wem du unbedingt mal ein
Bier trinken willst und welches, und
wenn du wählen könntest, wo.

Ich will nur wissen,
worüber du zuletzt Tränen gelacht hast
und was dich zum Weinen bringt oder
ob du dir Tränen verkneifst.

Ich will nur wissen,
ob du jemals wissen willst,
wieso mich das alles interessiert …

es gruselt mir

In den 70ern und 80ern, in der Nähe von Berlin:

5 Jahre – In der S-Bahn:
»Mama, da wo die weißen Häuser sind, da wohnt Oma, stimmt‘?«
»Psst. Nicht so laut …«
»Und warum dürfen wir da jetzt nicht hin?«
»Psst! Du sollst das nicht fragen!«

12 Jahre – In der Schule:
»Hey, ich habe ’ne neue Bravo …«
»WAS? ’ne BRAAAVOOO? Echt jetzt? Hat dein Opa wieder geschmuggelt?«
»Pssst. Nich so laut! Darf doch keiner wissen.«
»FUNK UHR – eine Mark! FUNK UHR – eine Mark!«
»Bist du verrückt?! Das ist Westwerbung!«

Vision 20XX – überall in Deutschland:
Die Mauer ist weg. Eine neue muss her. Rund um Deutschland. Und jeder, der nicht ÜBERALL unsere Sprache spricht, gehört über die Mauer gehievt. Und muss dann jeder, der nur deutsch spricht, für immer drin bleiben? Oder wird vielleicht auch innerhalb wieder eine Steinwand gezogen? Könnte doch. Hätten Künstler wieder Fläche. Und wenn, wie liefe das dann ab? So ganz ad hoc? Über Nacht? Oder dürften vorher alle entscheiden, auf welche Seite sie hüpfen? „es gruselt mir“ weiterlesen

spuren

wo ich beiße
ragen kristalle
aus deiner haut
an denen du dich schneidest
bin ich erst fort

wo ich küsse
schäumt blut
unter deiner haut
an dem du dich verbrühst
nehme ich meinen namen mit

wort verloren

es muss ja mal gesagt werden
das verlieren in worten birgt

verlust

geschäfte kann man das
jedoch nicht nennen wir es
gefahr einerseits denn zeilen
halten spinnweben gleich zarter
mal als andere die dich packen
liest du nicht schnell genug weg
fangen sie dich kleben dich

an sich

gefällt dir das zu beginn kannst
du dich von ihnen necken lassen
sie aufheben über wangen streichen
damit sie aufblühen gerötet in wonne

ich selber sitze hier mit gleicher röte
es muss ja mal gesagt werden
das verlieren in worten die eigenen folgten
birgt noch viel größere gefahr …

manche sehen liebe anders

Gestern bei Twitter … hatte ich einen kurzen Wortwechsel mit Detlef Cordes, alias @musikwerk. Mir war sein Profilbilddoppelwechsel aufgefallen – hin zu Weihnachten, weg von Weihnachten – aber das tut nix weiter zur Sache. Jedenfalls erwähnte er bei der Gelegenheit, er hätte heute öfter an meinen Blog gedacht. (Mein Ego lässt sich gerne pinseln, was meine Schreiberei angeht. Bis dahin wusste ich ja nicht mal, dass er meinen Blog kennt.) Ich fragte also erstaunt zurück, Ach? Woran genau?
Einige Minuten später schickte er mir den Link zu folgendem Text … und das hat in meinem Herzen ganz schön Zooooom gemacht. Aus zwei Gründen, aber hier erstmal der Text von Detlef Cordes:

„manche sehen liebe anders“ weiterlesen

Sterbeunterbrechung

Ende Mai stellten wir fest, dass das Päckchen mit den Kreuzworträtselheften nicht in Thailand angekommen war. Nochmals würden wir es nicht schicken wollen. Das Porto war nicht unerheblich. Im Juli würde ein Freund meines Vaters sowieso rüber fliegen und der könne die doch mitnehmen und direkt übergeben. Meine Oma nämlich liebt Kreuzworträtsel. Ich war insgeheim froh, dass sie weiterhin so fit ist, stand doch unser Interview noch aus, das wir besprochen hatten, für ein Buch … weil sie eben so ein wundervolles Original ist, deren Augen und Hände schon für manche Protagonistin herhalten mussten, und überhaupt, ihr ganzes Wesen, ihr Humor, ihr Putz …

Am 29.06.2014 starb sie, ohne dass ich sie nach ihrem Umzug vor drei Jahren wiedergesehen habe.  „Sterbeunterbrechung“ weiterlesen

lass uns davongleiten

Du musst dich nur tief genug ins Dunkle hocken. Die Höhle finden zwischen den Knien. Nase versunken. Augen zu und durch, umarmen dich schweigsam die eigenen Glieder, die nichts fassen können in diesem Augenblick als die Gewalt der Schreie, die stumm den Verstand aushöhlen. Vielleicht springst du ins Meer. Gleitest kristallklar umgeben von dem, was kein Mensch steuern kann. Du hörst das Singen der Wale, die um den Rest Platz dahin gleiten, weil die an Land nicht zuhören und alles weiter drehen sie ihre Runden. Du findest sie in den Strömen, die dich ziehen und stoßen. Du musst doch nur die Augen geschlossen halten in der Höhle zwischen deinen Knien. „lass uns davongleiten“ weiterlesen

Nachts, wenn in mich Liebe fährt

Das Leben. In mir. Auch ganz nah dran außen herum. Wenn das so voll ist, dass ich nur ganz enge Kreise schwimmen kann. Voll mit Dunkelheit und dem dagegen Anstinken.
Das Leben in mir. Das im Jetzt. Wenn das so sehr Jetzt ist, dass ich erst durch andere erfahre, dass erster Advent ist. Am ersten Advent. Oder das erste Türchen zu öffnen gewesen wäre. Am ersten Dezember. Keine Ahnung, wo und mit wem ich an Weihnachten sein werde … „Nachts, wenn in mich Liebe fährt“ weiterlesen

Tindergedanken

Immer wenn ich Fernweh habe, spiele ich mit fremder Leute Urlaubsbildern. Bei Tinder.

Ich selbst habe aus purer Unwissenheit den Fehler gemacht, im Vorfeld keinen Tauchkurs zu belegen oder das obligatorische Tandem zu bespringen. Nicht mal in den Urlaub bin ich geflogen, um mich lasziv am Strand zu selfen. „Tindergedanken“ weiterlesen

let them live

Wenn’s nach mir ginge, dürften sich alle Steckdosen so lange im Dreck suhlen, bis das Futter kommt. Denn den Arzt bräuchten sie so kaum. Und sowieso braucht keine Sau Gitterstäbe und unbewegliches Sein zum Leben. Ich auch nicht. Leben sollten sie, wie ich, doch so gut es geht. Wo die Natur Schlamm vorgesehen hat, zum Beispiel, oder Schlemmereien. Schön wäre das, denke ich und schnipple die Zucchini klein. Dabei denke ich an die Sau, in deren Stall ich mal gefallen bin, als ich zwölf war.

Ich stand zum Strohballeneinstapeln am Ausguck über dem Schweinestall und meine Tante, bei der ich die Ferien in Neddemin, einem damals 300-Seelen-Nest nördlich von Neubrandenburg, verbrachte, warf mir die Ballen von der Ladefläche des LKW nach oben. Schön war das. Schöne freie Ferien. Gerade als ich wieder einen Ballen nach hinten auf den Heuboden schleppte, um ihn auf die bereits gestapelten Goldreihen zu legen, gab es einen ungeheuren Knall. Mehr ein Krachen. Meine Tante schrie und unter mir gab der Boden nach.
»Die Scheune stürzt ein! Bruno, komm doch bloß. Das Mädel ist da oben. Die Sau. Die Ferkel. Bruuuunooo!«

Ich verstand die Aufregung nicht. Glaubte gar nicht, was da geschah. Ich lag auf dem Rücken. Krallte mich an Stroh über und unter mir und fixierte die Seitenwände, die mir vorgaukelten, dass der Boden immer weiter nach unten absackte. Ich lag und rief, um meine Tante zu beruhigen, mir geht es gut. Nichts passiert. Aber der Schiss so weit unterhalb der Stelle, an der ich eben noch mit Wonne den Sommer auf der Haut kratzen gespürt hatte, war mir doch in die Glieder gefahren. Ich werde dann ganz ruhig. Wenn es so richtig brenzlig ist, schalten meine Systeme auf low budget (es sei denn, meine Kinder sind betroffen).

10671277_346423018872753_6568768326949667063_nUnter mir, ganz nah bei mir, säugte die Sau ihre Ferkel, die erst zwei Tage vorher auf die Welt gekommen waren. Ich dachte die ganze Zeit daran, dass Schweine ganz furchtbare Beißer sein sollen, weil sie sich festbeißen und nicht mehr loslassen. Das wollte ich auf keinen Fall. Aber sie lag da. Ganz ruhig. Die winzigen rosa Steckdosen nuckelten an ihr und sie grunzte zufrieden. Der gebrochene Balken hatte sie verfehlt. Und weil wohl die Panik meiner Tante für alle anwesenden Lebewesen ausreichte, verfielen die Sau, samt Ferkel und meine Wenigkeit nicht in die Selbe.

Und seit dem liebe ich Steckdosen. Auch wenn sie groß sind. Und ich hasse Bilder und die, die sie verursachen, von dermaßen würdelosem Umgang mit diesen großartigen Tieren. If you urgent have to eat pork, let them live before, PLEASE!!