ruhe bitte!

Die zweite Nacht in der sonst so ruhigen Seitenstraße, die ich durch Lärm von außerhalb nicht in gleichmäßigen Atemzügen genießen konnte. Nerv!

In der ersten rief es drei Mal „Ruhe!“ aus einem Fenster der Nachbarschaft. Doch die Leute unterhielten sich vor irgendeiner Eingangstür trotzdem weiter. Angeregt hallte jede Silbe von beiden Hausseiten zurück. Ich legte irgendwann mein Handy nah an mein Ohr und ließ mich in den Schlaf singen.

Letzte Nacht wieder. Andere Leute. Deutlich jüngere. In Feierlaune. Gegen eins, um zwei, dann wieder gegen halb vier. Zuletzt um sechs. Gelache. Flaschengeklimper. Gequatsche. Gepiepe. Gepiepe? Was um Himmelswillen ist das für ein nerviges Gepiepe, fragte ich mich und wog zwischen Aufstehen, freundlichem Hinausgehen und um Ruhe Bitten oder einem Anruf bei der Polizei ab. Völlig überzogen, aus jetziger Sicht, aber ich wollte einfach nur schlafen. Meine Augenringe gaben meinen Befindlichkeiten heute Morgen recht.

Eben ertönten die selben Stimmen wieder und ich sah hinaus, da die Jalousie hochgezogen mir die Sicht freigab und ich gerade auf meinem Lesesessel am Fenster hockte. Tatsächlich stand die Quelle meines Schlafmangels genau gegenüber. Zwei der Jungs mit Bierflaschen und Kippen in der Hand. Gackernd und sich dabei verbiegend. Der dritte verweilte nur mit Unterhose bekleidet und mit Wollmütze kopfbedeckt, gleichfalls laut lachend … und piepend!

Der nervende Ton kam von dem Fahrzeug unter ihm, einer Art Krankenfahrzeug. Ein elektrischer Rolli, nur irgendwie mehr wie ein Auto – Ob das der Grund war, dass niemand „Ruhe!“ rief vergangene Nacht?

naturverbunden

Der Junge drückt die Stirn gegen die Gitterstäbe. Arme und Beine ragen hindurch, als würden sie die Absperrung umarmen. Staubgrau sonnengebräunt. Während sein Kinn zwischen den nackten Knien verschwindet, geht sein Blick an den Füßen vorbei verloren.

Unter ihm flaniert der Sonntagnachmittag. Fasst sich an den Händen. Legt Arme um Hüften. Läuft Hunden hinterher. Er leckt an Eistüten und schreit aus Kinderhälsen. Der Sommer geht. Am letzten schönen Wochenende scheint jeder noch ein Stück von ihm abhaben zu wollen.

Der Junge kratzt über den abgesplitterten Lack des Geländers. Hinter ihm bewegen sich Gardinen. Wehen weit auf. In Bögen. Sie verfangen sich am Mauerwerk. Geschwängert von Zigarettenqualm und bar jeder Bleiche.

Ich schlendere auf der anderen Straßenseite vorbei und werde das Gesicht in meinem Kopf nicht los. Darin den Ausdruck eines, dem die Freude der anderen nichts anhaben kann. Keine Chance in der Luft, ihm die Leere zu vertreiben, denke ich und frage mich, welche Geschichte dahinter steckt. Ist er neu in der Stadt? Versteht er kein Wort von den lachenden Kindern unter ihm? Oder lebt er seit Jahren dort oben hinter den vergilbten Stoffblüten, die ihn vom Draußen trennen? Schützen sie ihn oder sehnt er sich danach, sein Gesicht in das letzte warme Gras des Jahres zu legen, Bälle zu kicken, um die Wette zu laufen? Und darf nicht?

BxchuThIAAEMsSlNichts will ich manchmal so sehr wissen, wie die Gründe für stumme Traurigkeit. Dabei ist es weniger die Geschichte dahinter, als das wilde Bedürfnis, das mich beim Anblick von Kindern und Tieren gleichermaßen überkommt, nämlich, sie unbändig toben und sich des Lebens freuend zu sehen.

© Jo Lenz, 07.09.2014

Woyzeck – 1. Voraufführung – Bericht

„Woyzeck“ – 1. Voraufführung vom 02.09.2014

Gerade zurück von einem kurzfristig durch Freunde angeregten Theaterbesuch im Berliner Ensemble. Brecht fiel leider aus. Stattdessen gab es spontan die 1. Voraufführung von Georg Büchners Woyzeck – http://www.berliner-ensemble.de/premieren – unter der Regie von Leander Haußmann.

Der erste Komplettdurchlauf war das heute Abend, von einer Geschichte, die ich nicht kannte. (Die Vorbesprechung ließ ich mir dummerweise wegen massiven Hungergefühls entgehen und knabberte vor der Tür ein Baguette) Ich saß ab 19:30 Uhr erstmal in der sechsten Reihe, gespannt auf das, was kommt.
Und es kam und erreichte mich gewaltig und im positiven Sinne schockierend ohne nennenswerte Patzer.

ACHTUNG SPOILERGEFAHR: Das Stück lebte sowohl von der Kraft seiner Darsteller, als auch von der gelungenen Erschaffung von Atmosphären, die teilweise filmisch bei mir für Fesselung sorgten, sei es durch Kampfszenen und ausgelassenes Feiern in Zeitlupe oder wunderbare Songs im Hintergrund.

Die Inszenierung brachte mich zwischendurch an Grenzen hinsichtlich Entsetzen und Erschütterung, wobei ich weniger an das blutverschmierende Drangsalieren des naiven Franz Woyzeck durch seine Kameraden denke, als vielmehr an das wiederkehrende Einmarschieren der Kompanie im Gleichschritt.

Stampfende Manneskraft, auf das Publikum gerichtete Gewehre, wirres Geschrei. (Und dann saß ich da und hoffte, dass kein Psychopath eine der Waffenattrappen ausgetauscht hat, um für eine Massaker-Schlagzeile zu sorgen) Dabei ging mir durch den Kopf, in wie vielen Ländern es diese Präsenz von Macht und Gewalt nicht auf Bühnen, sondern in den Straßen gibt. Vermutlich ein nicht ungewollter Effekt. Der Wahnsinn, den ein Krieg erschafft, war spürbar in starken Bildern. (Inklusive Folter, Medizinischen Versuchen, Gruppenurinieren auf Woyzeck (gefakt))

Teilweise wirkten Szenen auf mich, als befänden sich die Darsteller im Opiumrausch und halluzinierten die selben Bilder. Anders konnte ich mir manche Figuren, die völlig fehl am Platz zu sein schienen, nicht erklären.
Einer Halluzination gleich, mutete dann allerdings auch das lebendige Ross an, welches von Maria geritten freilich einen sündigen Anblick bescherte, aber ich bin kein Freund von Tieren unter Scheinwerfern und vor Publikum. Das hätte man anders lösen können. Im Stück selber wird gezeigt, wie. Mir hätte der Schattenwurf genügt (Dafür ein Punkt Abzug)

Ein langes Stück, aber nicht langatmig, was erstaunlich ist, da es häufig Szenen gab, die auf Wirkenlassen ausgelegt waren. Lag einer und litt, litt er anhaltend, auch das hat mich an gute Filme erinnert, in denen kein Dialog trägt, sondern nur das Auge bemüht wird. Oh, ja, natürlich gab es auch Liebe, durchweg durchzogen, für mich blieb es trotzdem am Rande.

Auf Links gedrehte Kleider, fehlende Handschuhe, ermüdete Muskeln, flüsternde Rufe vom Regisseur – das waren die winzigen von mir bemerkten Randerscheinungen dieser Rohfassung, und es war spannend dabei gewesen zu sein.

Fazit: Es wirkt nach. (Werde mir das Buch besorgen, um zu erkennen, was ich verstanden und richtig gedeutet habe) Applaus für die Darsteller, die körperlich viel geleistet haben, nicht nur im Stimmbandbereich. Applaus für die gesamte Technik für Musik und Spezialeffekte, Mitgefühl mit der Maske, die viel mit Säubern beschäftigt gewesen sein muss und ja, auch mit den Leuten, die den Siff auf der Bühne beseitigen und wieder aufbereiten werden. (Nach der Pause saß ich in der ersten Reihe und machte mir darüber meine Gedanken)

Und Chapeau dem Regisseur für das gelungene Darstellen von Krieg und Liebe im Wahnsinn Mensch!

Einen Stinkefinger für die Buhrufer am Ende habe ich auch noch. Nach 2 1/2 h härtestem Einsatz hat das niemand verdient!

© Jo Lenz (hat „noch“ keine Ahnung von Literatur, Theater, geschweige denn davon, wie man Kritiken schreibt, wollte/ musste trotzdem ihren Senf dazu geben.)

vergessen

er ist immer schon da
immer noch auch wenn
ich die bank passiere

zwischen backshoptüten
pizzapackungen geleert
glänzt sein grauer bart

er liegt immer nur da
immer noch auch wenn
morgens alles erwacht

auch an nachmittagen da
hängt das bein zur seite
herab blicken nur fremde

und der verkehr rollt laut
redet alles ringsum lässt
ihn seit wochen so liegen

einmal saß er da und ich
fing seine braunen augen
im vorbeifahren auf mich

wie aus dem märchen ein
gesicht wie aus dem märchen
dachte ich und hoffe noch

© Jo Lenz, 29.08.2014

münzenplätten

still liegen die gleise wie indianer
drücken sie ihre ohren auf stahl hart
trifft das wort feigling! den kleinsten
in der feuchten hand münzen vom altpapier

an dieser stelle werden sie besonders platt da
fährt der zug erst langsam an siehst du der bahnhof
dort wird gleich die fette dampflok schicken schaut
doch nur mal wie der schlot raucht schnell und pfeift

still liegen die steine unter den gleisen
drücken die wurzeln vom vergissmeinnicht weil
heute kein zug mehr darauf fährt und mit altpapier
riskiert doch keiner mehr was für ein schönes kreuz!

WEISS DENN JEMAND, WAS DANN KOMMT?

WEIß DENN JEMAND, WAS DANN KOMMT?

auf der Suche nach dem lösungsweg
stöbere ich im nirvana lügenlastig
gut gefüllt mit trost finde ich cheats
mit denen wir den wahnsinn unter uns
blocken austricksen umgehen auslöschen

könnten wir das einfach so wenn wir alle
die nicht in machtgeräten verfangen sind
unverdiente orden den reichen und anderen
lügenapparaten vor die füße würfen? schade
denke ich der film*) ist schon zwei jahre alt

auf der suche nach dem lösungsweg
begegnen mir soldaten die den krieg
des reichen mannes nicht länger führen
wollen im netz wollten sie es jemals?
welchen lügen trauen wir unserem land?

weiß denn eigentlich jemand was dran ist
wenn die herrschende klasse kein blaues
blut mehr aus banken tropft? schlafsand
auf unsere satten augen und ruhiggestellt
lauscht das hirn tauschenden frauen im tv

weiß denn jemand was dann werden wird
wenn alle verräter entlarvt und alle lügen
aufgedeckt vor uns liegen? verantwortung
auf wenigen köpfen nickt sie beruhigend
das lässt sich alles regeln unter uns ruhe

das taschentuch saugt meine tränen auf
und das bedeutet nichts so nah am wasser
bin ich ja schnell mal berührt von soldaten
die über lügen reden, denen sie glaubten
und dafür die welt um verzeihung bitten

wann verzeihen wir uns unser sattsein?
schlafende bäuche aller länder fragt euch!

© Jo Lenz, 2014

*) http://youtu.be/tegH7IRkMWc

Aus heiterem Himmel – Nonfiktion

»Es ist alles richtig, wie du es machst. Bei Viktorias Freundin wurden heute morgen die Geräte abgestellt.«

Ich starre auf das Handydisplay und verstehe die Worte nicht.

Viktoria ist in Australien zum Arbeiten und Reisen. Seit letztem Sommer. Vor Kurzem erst atmeten wir erleichtert auf, als der Nachricht, sie würde nach einem schweren Autounfall ins Krankenhaus gebracht worden sein (ihr Wagen hatte sich aus ungeklärten Gründen überschlagen), die Mitteilung folgte, sie würde mit Schock und Gehirnerschütterung schon am nächsten Tag entlassen werden. Ihren Schutzengeln dankten wir zutiefst.

In meinem Kopf rattert es. Ich mache alles richtig, weil ich mich dem Schreiben zuwende, verstanden. Aber welche Freundin, welche Geräte und was denn jetzt schon wieder? Ich rufe den Absender der SMS an und frage nach. Die Erklärung, die folgt, klingt, als würde sie einem Hollywoodfilm entspringen: „Aus heiterem Himmel – Nonfiktion“ weiterlesen

»Erstma eene«

SCHREIBWETTBEWERB zum Thema „uffrochen“

Quasi fast eben, also gegen 16:15 Uhr erreichte mich per Messenger der Vorschlag einer befreundeten Schreiberin:
„Pass uff: Contest. uffrochen, Deadline 17:00 Uhr. Bock?“
Ja, ich hatte Bock, aber gerade das Essen auf’m Tisch. Also gut, dann bis 17:15 Uhr, einigten wir uns. Ich schlug vor, dass ich mir zur besseren Reflexion erstmal eene anstecken müsste, besann mich aber darauf, dass ich gar nicht rauche …
Der Startschuss fiel gegen 16:45 Uhr. Uffrochen, nun denn. Nach ca. 25 Minuten hatte ich meinen Text fertig und fand das mal einen richtig tollen Hardcore-Schreibwettbewerb  Danke für den Spaß und hier das spontane Ergebnis: „»Erstma eene«“ weiterlesen

Der Geschichte seine Teile

6 Twitterer sind wir, Geschichten spinnende. Jeder für sich irgendwo zwischen den Welten. Gemeinsam schlagen unsere Herzen seit dem 03.01.2014 für eine Geschichte, nämlich – und DU kannst ihr folgen #DerGeschichte
In fester Reihenfolge gehört die Bühne dem allein, der am Drannsten ist. Ohne Rücksprache. Ohne Vorgaben… und der Nächste folgt mit eigener Gangart und Schreibweise.

Sobald die Autoren ihren  Teil fertigstellen, wird der Link aktiviert. Viel Spaß beim Mitlesen!

Jo • Der Geschichte 1. Teil

Fitz • Der Geschichte 2. Teil

Fee • Der Geschichte 3. Teil

Miss Antrophie • Der Geschichte 4. Teil

Unangepasst • Der Geschichte 5. Teil

Ungewiss • Der Geschichte 6. Teil

Jo • Der Geschichte 7. Teil

Fitz • Der Geschichte 8. Teil

Miss Antrophie • Der Geschichte 9. Teil

Unangepasst • Der Geschichte 10. Teil

Ungewiss • Der Geschichte 11. Teil

Jo • Der Geschichte 12. Teil

Fitz • Der Geschichte 13. Teil

Ungewiss • Der Geschichte 14. Teil

Unangepasst • Der Geschichte 15. Teil

Ungewiss • Der Geschichte 16. Teil

???

»Märchen(b)raten«

MÄRCHEN(B)RATEN

Immer noch bis zu den Knöcheln im Blut des Drachen,
in seinem Herzen die Silberklinge aus deiner Hand.
Wer räumt das alles wieder auf nach diesem Streit?
Der Auftrag für seinen Kopf, das Verlocken, winkt
haarraufend grimmig zu Jacob und Wilhelm täuscht
mit Aufstiegsversprechen. Kraut wächst dagegen nicht.

Aber du hältst sehnend an ihren Locken fest.
Soll sie sich doch herablassend erleichtern und
mit ihrem Haupt, das von Gedanken entflutet
eben das sabbernde Brudervolk verabschiedete,
dein Kräuselhaar ehrbar in Rinnsalen schmücken.
Birgt Lieben in Türmen nach Hieben nur Tücken? „»Märchen(b)raten«“ weiterlesen