Im 2. Schuljahr kam M. in unsere Klasse.
M. wurde zu Hause geschlagen.
Niemand von uns wusste das.
Die Lehrer hielten nicht viel von M..
Sie sagten es deutlich vor der Klasse.
Denn M. kam aus der Familie P.
Er war das 7. Kind.
Wer aus der Familie P. kam, aus dem konnte nichts werden.
Schnell begriffen alle, aus M. wird niemals etwas.
Wenn M. jemand zu nahe kam oder ihn provozierte, schlug M. zu.
Schnell begriffen alle, wer sich mit M. anlegt, bekommt Kloppe.
Den Lehrern warf er Stühle nach.
M. war rasend in seiner Wut.
Er wurde weiß, wie eine Wand, wenn man ihn reizte.
Er hatte schöne Augen.
Ich mochte ihn.
Seine Augen leuchteten, wenn ihn eine Lehrerin um Hilfe bat.
Es gab nur eine Lehrerin, die das tat.
M. half gern.
Wir beide mochten M.
Ich mochte die Lehrerin darum auch sehr.
M. hatte denselben Heimweg, wie ich.
Wir unterhielten uns viel. Ich habe vergessen, worüber.
Einmal wollte M. einen Frosch quälen.
Er hatte es bei seinen Geschwistern gesehen.
Ich lief ihm nach und bat ihn, den Frosch aus der Tasche zu holen.
Lass ihn wieder frei, das ist Tierquälerei! Ich rede sonst kein Wort mehr mit dir.
M. lief einfach weiter.
Sauer und stinkwütend wiederholte ich laut meine Forderung.
Plötzlich sah M. mich an und grinste. Dann ließ er den Frosch frei.
M. sah schön aus, wenn er lachte.
M. hatte tolle Ideen beim Budebauen.
M. beschützte Schwächere.
M. hatte Phantasie.
Ich mochte das.
Und wer sich über ihn lustig machte, den verkloppte er.
Lass dich nicht provozieren, sagte ich, denn das wollen sie, da lagen wir im Gras und sahen in den Himmel. Ein paar Schuljahre später.
Sie werden hinter deinem Rücken weiter über dich hetzen. Du wirst in ihren Augen immer der dumme M. sein, der um sich schlägt, wenn ihm etwas nicht passt. Aber du bist nicht dumm, nur weil du aus der Familie P. kommst. Ich weiß es und die Lehrerin weiß es auch. Wenn du dich provozieren lässt, sind sie am Ende die Gewinner. Auch wenn ihre Nasen bluten.
Heute frage ich mich, ob die Spaltung innerhalb der Klasse zwischen einem aus der Familie P. und allen anderen Kindern … von oben, also von den Lehrern, so gewollt war. Geschürt haben sie es. Und ich frage mich, warum?
Wieso schreibe ich das auf? Weil mich die politische Situation, die mich augenblicklich aufwühlt, schlicht und ergreifend daran erinnert hat.