„Woyzeck“ – 1. Voraufführung vom 02.09.2014
Gerade zurück von einem kurzfristig durch Freunde angeregten Theaterbesuch im Berliner Ensemble. Brecht fiel leider aus. Stattdessen gab es spontan die 1. Voraufführung von Georg Büchners Woyzeck – http://www.berliner-ensemble.de/premieren – unter der Regie von Leander Haußmann.
Der erste Komplettdurchlauf war das heute Abend, von einer Geschichte, die ich nicht kannte. (Die Vorbesprechung ließ ich mir dummerweise wegen massiven Hungergefühls entgehen und knabberte vor der Tür ein Baguette) Ich saß ab 19:30 Uhr erstmal in der sechsten Reihe, gespannt auf das, was kommt.
Und es kam und erreichte mich gewaltig und im positiven Sinne schockierend ohne nennenswerte Patzer.
ACHTUNG SPOILERGEFAHR: Das Stück lebte sowohl von der Kraft seiner Darsteller, als auch von der gelungenen Erschaffung von Atmosphären, die teilweise filmisch bei mir für Fesselung sorgten, sei es durch Kampfszenen und ausgelassenes Feiern in Zeitlupe oder wunderbare Songs im Hintergrund.
Die Inszenierung brachte mich zwischendurch an Grenzen hinsichtlich Entsetzen und Erschütterung, wobei ich weniger an das blutverschmierende Drangsalieren des naiven Franz Woyzeck durch seine Kameraden denke, als vielmehr an das wiederkehrende Einmarschieren der Kompanie im Gleichschritt.
Stampfende Manneskraft, auf das Publikum gerichtete Gewehre, wirres Geschrei. (Und dann saß ich da und hoffte, dass kein Psychopath eine der Waffenattrappen ausgetauscht hat, um für eine Massaker-Schlagzeile zu sorgen) Dabei ging mir durch den Kopf, in wie vielen Ländern es diese Präsenz von Macht und Gewalt nicht auf Bühnen, sondern in den Straßen gibt. Vermutlich ein nicht ungewollter Effekt. Der Wahnsinn, den ein Krieg erschafft, war spürbar in starken Bildern. (Inklusive Folter, Medizinischen Versuchen, Gruppenurinieren auf Woyzeck (gefakt))
Teilweise wirkten Szenen auf mich, als befänden sich die Darsteller im Opiumrausch und halluzinierten die selben Bilder. Anders konnte ich mir manche Figuren, die völlig fehl am Platz zu sein schienen, nicht erklären.
Einer Halluzination gleich, mutete dann allerdings auch das lebendige Ross an, welches von Maria geritten freilich einen sündigen Anblick bescherte, aber ich bin kein Freund von Tieren unter Scheinwerfern und vor Publikum. Das hätte man anders lösen können. Im Stück selber wird gezeigt, wie. Mir hätte der Schattenwurf genügt (Dafür ein Punkt Abzug)
Ein langes Stück, aber nicht langatmig, was erstaunlich ist, da es häufig Szenen gab, die auf Wirkenlassen ausgelegt waren. Lag einer und litt, litt er anhaltend, auch das hat mich an gute Filme erinnert, in denen kein Dialog trägt, sondern nur das Auge bemüht wird. Oh, ja, natürlich gab es auch Liebe, durchweg durchzogen, für mich blieb es trotzdem am Rande.
Auf Links gedrehte Kleider, fehlende Handschuhe, ermüdete Muskeln, flüsternde Rufe vom Regisseur – das waren die winzigen von mir bemerkten Randerscheinungen dieser Rohfassung, und es war spannend dabei gewesen zu sein.
Fazit: Es wirkt nach. (Werde mir das Buch besorgen, um zu erkennen, was ich verstanden und richtig gedeutet habe) Applaus für die Darsteller, die körperlich viel geleistet haben, nicht nur im Stimmbandbereich. Applaus für die gesamte Technik für Musik und Spezialeffekte, Mitgefühl mit der Maske, die viel mit Säubern beschäftigt gewesen sein muss und ja, auch mit den Leuten, die den Siff auf der Bühne beseitigen und wieder aufbereiten werden. (Nach der Pause saß ich in der ersten Reihe und machte mir darüber meine Gedanken)
Und Chapeau dem Regisseur für das gelungene Darstellen von Krieg und Liebe im Wahnsinn Mensch!
Einen Stinkefinger für die Buhrufer am Ende habe ich auch noch. Nach 2 1/2 h härtestem Einsatz hat das niemand verdient!
© Jo Lenz (hat „noch“ keine Ahnung von Literatur, Theater, geschweige denn davon, wie man Kritiken schreibt, wollte/ musste trotzdem ihren Senf dazu geben.)